Nachdem auf einer österreichischen Autobahn ein Lkw mit 71 erstickten Geflüchteten aufgefunden war, hat auch die Satirezeitschrift Postillon das Thema aufgegriffen und in einem bitterbösen, ja auch streitbaren, Artikel aufgearbeitet: „Alles wieder gut: Österreich versenkt Lastwagen mit 71 toten Flüchtlingen im Mittelmeer“. Unter dem Artikel, ebenso wie auf meiner eigenen Timeline, sind unter vielen anderen auch Reaktionen aufgetaucht, die den Artikel für geschmacklos halten. Und damit haben sie auch Recht!
Der Artikel ist geschmacklos, aber…
Hier an dieser Stelle den Spruch von Tucholsky zu bringen, dass Satire bekanntlich alles darf, wäre abgedroschen. Dennoch kann auch ein solcher Artikel, der eigentlich sogar ganz offensichtlich geschmacklos ist, legitim sein. Mit seinem bitterbösen Artikel sucht der Postillon ja nicht nach dem kurzfristigen Lacher, nach der Slapstickkomik oder nach billigen Witzen auf dem Rücken der toten Geflüchteten. Das Objekt der Satire sind nicht die 71 Menschen, die auf der Autobahn gefunden wurden, sondern die gesellschaftliche Realität – uns alle eingeschlossen. Subjekt bzw. Rezipient und Objekt dieses Artikels sind die gleichen. Das ist es nämlich, was gute Satire ausmacht: Sie hält einem selbst, den gesellschaftlichen Zuständen und auch der Politik den Spiegel vor.
Parodie ist für Adorno die „Verwendung von Formen im Zeitalter ihrer Unmöglichkeit“. Satire ist nicht nur eine Copingstrategie um, ob der eigenen Ohnmacht, die Situation von Geflüchteten zu verarbeiten. Sie ist vielmehr auch ein Versuch diejenigen Strukturen aufzubrechen, die die Zustände fortschreiben und ein Ausbrechen aus ihnen derzeit unmöglich machen. Satire ist nicht „l’art pour l’art“, ist nicht bloß Witz, sondern selbst eine Form, um gesellschaftliche Zustände aufzubrechen. So ist die Sentenz von Adorno auch nicht vollständig zitiert, wenn man nicht wie im Original schreibt, Parodie sei die „Verwendung von Formen im Zeitalter ihrer Unmöglichkeit und verändert dadurch die Formen.“
Aber, darf man das?
Die Toten werden nicht dadurch wieder lebendig, dass man zu ihrer Gedenken jetzt schweigt. Zugegebenermaßen ist ihnen aber auch durch eine satirische Aufarbeitung nicht unmittelbar geholfen, sondern zuallererst erst einmal uns selbst, die wir am wenigsten von der Situation betroffen sind (selbst wenn wir „betroffen“ sein mögen). Sie ist aber auch, wie oben erwähnt, ein Spiegel, der uns vorgehalten wird, und der uns zeigt, dass es nicht damit getan ist, die 71 Opfer dieses Schleppertransportes zu beweinen, während täglich auf dem Mittelmeer Hunderte sterben. Die Satire zeigt uns, dass ein Ausbruch aus dem Planmäßigen – dem Sterben im Mittelmeer – eine Nachricht wert ist, das hundertfache Sterben im Mittelmeer selbst aber zur Normalität geworden ist.
Der Artikel will uns also auch aus einer Situation aufwecken, in der große Teile der Bevölkerung inzwischen stillschweigend akzeptiert haben, dass Boote mit Geflüchteten regelmäßig auf See kentern und ihre Insass*innen ertinken. Und genau an diesem Punkt sehen wir, dass es eigentlich nicht der Artikel des Postillion ist, der geschmacklos ist: Geschmacklos ist vielmehr die Realität, in der Geflüchtete leben und sterben müssen. Erst wenn diese reelle Geschmacklosigkeit beendet ist, werden auch geschmacklose Satireartikel ihr Ende finden können.